Triptychon
Warum Triptychen? Immer noch? Im 21. Jahrhundert? Das uralte Bildformat, das christlich aufgeladene, dreiteilige Gemälde? Bei der kürzlichen Einrichtung der Neugestaltung meiner Webseite fiel mir plötzlich auf, dass meine Triptychen es nicht gut vertrugen, sich einer Gruppierung von Einzelbildern unterzuordnen. Es stellte sich heraus, dass sie nach einem eigenen Platz riefen. Für die Darstellung im Internet hatte ich die Arbeiten meiner Malerei bestimmten Kategorien zugeordnet, wie etwa Target, Blüten, Indigo o.ä. Triptychen aber sind Einzelgänger, kreisen in sich selbst und beanspruchen viel Raum, in energetischer sowie auch häufig in räumlicher Hinsicht. Bei der Hängung verlangen sie meist nach einem gesonderten Platz. (s. Marion Ackermann/ Vorwort und Wolfgang Ullrich/ Autoritäre Bilder in dem prächtigen Ausstellungs-Katalog Drei. Das Triptychon in der Moderne. ISBN 978-3-7757-2327-5)(*)
Diese Einsicht bei der Zuordnung meiner Bilder entpuppte sich zu einem lebhaften Interesse an einer vertieften Untersuchung meiner bisher eher emotional gesteuerten Anwendung des Triptychons. Ich hatte dieses Bildformat bisher aus künstlerischen Motiven heraus, eben als Malerin, intuitiv gewählt und gar nicht so recht bemerkt, dass sich da mit der Zeit eine ganze Reihe dieser speziellen Bilder angesammelt hatte. In den letzten beiden Jahren erarbeitete ich zwei relativ große Triptychen, zu deren Format mit dieses Mal überzogen großen Mittelfeldern ich mich völlig überraschend entschieden hatte. Vielleicht gaben die beiden in ihrer Form recht auffälligen Bilder den Anstoß zu diesen Reflexionen.
Was passiert da eigentlich? Warum berufe ich mich immer wieder einmal auf das Triptychon als Bildträger? Da ich es ja mache, muss ich es an sich weder analysieren noch verstehen. Das Sprudeln der Quelle fragt nach keiner reflektierten Analyse. Dennoch möchte ich an dieser Stelle der Frage nachgehen, warum ich, eine Frau, die sich als modern, freiheitsdurstig, unabhängig und allem Traditionellen gegenüber äußerst skeptisch bis zerstörerisch verhält, sich von Zeit zu Zeit diesem altehrwürdigen Bildformat zuwendet und seine ungewöhnliche Spezies, die doch adhoc an Kirchen und Altäre erinnert, für ihre Malerei einsetzt.
Seit dem Mittelalter war das Triptychon als Altar- und Andachtsbild in der Abendländischen Kunst von zentraler Bedeutung. Es ist ein aus drei Tafeln bestehendes Gemälde, deren mittlerer Teil im Format häufig größer gehalten ist als die beiden Seitenflügel gleichen Formats. Das klassische Triptychon,– ein Flügelaltar, auch seltener als Klappaltar–, fordert die Unterordnung der beiden Seitenbilder unter die betonte Mitte. Die Seiten dienen dem Mittelbild als eine Art Kommentar. Kapellen und Altarräume wurden durch Triptychen geschmückt und bestimmt. Der betonte Mittelteil zeigte z.B. die Geburt Jesu, die Kreuzigung oder die Mutter Maria, während die Nebenfiguren der Seitentafeln sich inhaltlich und formal auf die Mitte bezogen.
Triptychen als Altarbilder und Andachtsbilder verlangten mehr als ihre lockere Beachtung. Sie forderten durch ihren religiösen Gehalt eine Art Hingabe vom Volk. Sie wurden über eine kontemplative Betrachtung hinaus zur Versenkung benutzt oder gar angebetet. So gesehen hatte das Triptychon in seiner Blütezeit vom 15.–17. Jahrhundert einen eher spirituellen Charakter. In der Zeit des frühen Christentums entstanden Triptychen mit wunderbar bescheiden anmutenden Figuren, in Haltung, Gestik und Gesichtsausdruck voller Schönheit und Hingabe. Wir lieben die Bilder dieser Frühzeit zurecht, da die Menschheit, mit welchem konfessionell abhängigen Charakter auch immer, noch im Stande war sich jenseits der Ratio zu versenken. Die dogmatische, paternalistische Religion des Christentums erzeugte dann im Verlauf ihrer herrischen bis kriegerischen Verbreitung durch ihre Machtstruktur Menschen in angstvoller Unterwürfigkeit. Dieser Haltung gegenüber hat ein Altarbild leichtes Spiel. Es fordert Hingabe bis hin zu blinder Verherrlichung. Entsprechend des weitgehenden Verlustes eines spirituellen Menschen durch die Aufklärung verschwindet das Triptychon weitgehend aus der Kunst. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfährt es dann als Bildträger eine Wiederbelebung, taucht in der Malerei wieder auf und spielt bis heute eine recht bedeutende Rolle.
In diesem skizzierten weitgehend autoritären Charakter seiner Herkunft sehe ich einen wesentlichen Aspekt der bis heute wirkenden Kraft dieses Bildmediums. Im 20. Jh. gab es und auch im 21. Jh. gibt es nicht wenige Künstler, die das Triptychon als Bildform für ihre Absichten verwenden. Das Triptychon wurde und wird eingesetzt, wenn die Künstler etwas bewegen wollen, wenn sie sich engagiert für bestimmte Werte ins Zeug legen. Bei Otto Dix z.B. oder Max Beckmann wurden sprachgewaltige aktuelle Bildinhalte durch das traditionsgeladene Bildformat in ihrer Wirkung enorm verstärkt. Für mich evoziert das Triptychon eine transzendente, gleichsam sakrale Aura. So überzieht, untermauert oder durchdringt die Magie der Bildform immer auch den dargestellten Bildinhalt. Mehr oder weniger kontrastiert jetzt gar das überlieferte religiöse Triptychon mit dem so ganz anders gearteten Bildmotiv.
Dazu eine kleine Anekdote: Als Max Beckmann von einem Galeristen um eine Deutung seines Triptychons Abfahrt gebeten wurde, meinte er, man solle ihm das Kunstwerk zurückschicken und fügte hinzu, dass seine Bilder Wahrheiten trügen, die durch Worte nicht darstellbar seien. Er könne mit seinen Bildern nur zu Leuten mit einem ähnlichen metaphysischen Code sprechen.
Es ist in diesem Zusammenhang nicht der Ort, alle Künstler zu erwähnen, die sich dem Triptychon angenommen haben. Hier sei noch einmal der oben genannte
Ausstellungskatalog Drei. Das Triptychon in der Moderne erwähnt,(*), in dem viele namhafte Künstler, besonders des 21. Jahrhunderts, auch mit eigenen Wortbeiträgen, aufgezeigt werden.
Das Triptychon wird nicht nur in der Bildenden Kunst angewandt. In der Musik ist das Vokal-Triptychon Quando stanno morendo von Luigi Nono ein schönes Beispiel, mit dem 2002 das Forum neuer Musik eröffnet wurde. Nono will die Zuhörer nicht nur als Rezipienten von Musik fordern, sondern sie auch zu geistiger Anteilnahme und politischer Partizipation bewegen. Alle meine Werke–so schrieb Nono anlässlich der Uraufführung–gehen immer von einem menschlichen Anreiz aus: Ein Ereignis, ein Erlebnis, ein Text unseres Lebens rührt an meinen Instinkt und an mein Gewissen und will von mir als Musiker wie als Mensch Zeugnis ablegen. Zu dem Antrieb aus der menschlichen Sphäre kommt die musikalische Verwirklichung mit den ureigenen und ausschliesslichen Mitteln der Musik.
Das Triptychon erhält heute auch Einzug in die Welt des Design und der Raum- Gestaltung, was in erster Linie schlicht auf die attraktive Struktur des Bildmediums zurückzuführen ist. Die Dreiteilung macht sich eben gut als dekoratives Element z.B. bei Schöner Wohnen, im Otto-Versand:Triptychon-Bild, 21-teilig für 21€.- als Wand-deko usw., usw. In dieser scheinbar unbedarften Anwendung des alten Mediums verbirgt sich eher die Schwäche unseres augenblicklichen Daseins. Wir leben in einer Zeit horizontalen Charakters. Die suchtartige Ausbreitung auf der Fläche lässt die Herzebene des Menschen verkümmern. So wird der Gebrauch des Bildformats Triptychon geschickt eingesetzt, da sich in ihm die Dimension einer geistigen Kraft verbirgt. Auch Bildträger haben, wie unsere Seelen, eine DNA. Nicht umsonst wird sich heutzutage schamlos der Produkte alter Meister bedient. Eine Handtasche mit dem Print von van Gogh’s Sonnenblumen, ein Kopftuch mit der Mona Lisa u.a.m. Unsere Zeit schreit nach der Vertikalen, der Ebene der Herzens.
Komme ich zurück zu meiner Anfangsfrage. Warum immer noch Triptychon? Warum verwende ich es für meine Malerei, da ich doch mit der Kirche auf Kriegsfuß stehe und mit der menschenverachtenden Geschichte des dogmatischen Christentums nichts zu tun haben möchte? Nun im Grunde habe ich die Frage durch die oben stehende Auseinandersetzung schon beantwortet. Ich benutze die machtvolle, bzw. spirituell aufgeladene Bildstruktur für mein Werk, um einen bestimmten Ausdruck zu vermitteln, der dem dargestellten Bildgegenstand entgegen kommt und dem Betrachter eine Art Hingabe bzw. Auseinandersetzung abverlangt. Darf ich das trotz meiner Ablehnung der Kirche? Ja, ich finde schon. Wenn ich allein daran denke, mit welcher tiefen Faszination ich einst die frühchristlichen Triptychen in der Toskana kennenlernte. Gerade um den verloren gegangenen spirituellen Charakter geht es mir doch, um Aufbruch, geistige Freiheit und das Feuer des Herzens. So gesehen ist meine Arbeit mit dem Triptychon kein Klauen, keine falsche Verwendung alter Werte, sondern entspricht eher der Achtung einer Geisteshaltung, die ich hinüberrette, sie verwende und erneut fruchtbar machen möchte.
Zum Abschluss dieser Betrachtungen möchte ich eine Hymne auf den Altmeister Giotto di Bondone aufzeichnen, die ich als Tagebucheintrag am 9. Juli 2018 skizzierte:
An der Schwelle
Diptychon
Triptychon
Poliptychon
Giotto
Baroncelli- Poliptychon
Baroncelli- Altar
Giotto
Die Krönung Mariens
Giotto
Wasserscheide der Modernität,
Giotto
Auratischer Maler
Giotto
Schweigender Maler
Giotto
Genius verblassender Frühphase
Giotto
Stammvater europäischer Malerei
Giotto
Ur-Genie der Menschendarstellung
Giotto
Künstlergenie, Maler vom Urknall der Individualität. Eine Malerei unfassbarer Schönheit, die nach Giotto nie wieder so geäußert werden konnte. Die stetig zunehmende Verhaftung am Ich erlaubte es einfach nicht mehr, sich in dieser auratischen Schönheit des erwachenden Selbstbewusstseins zu manifestieren…
Nie mehr. Wie schade, wie sehr sehr schade……!
(ein bisschen geklaut von der Begeisterung Dirk Schümers/Welt/ 9.9. 2015)