Ninfa
Seit Corona keine großen Bilder auf Leinwand mehr, im Januar 2020 eine kleine Ausstellung Kadmos zum uralten Thema Selbstzerstörung der Menschheit, die sich nun seit Corona wahnhaft etabliert. Wahrnehmung und Beobachtung des Umgangs mit dem Virus treffen mich auf Dauer im künstlerischen Mark. Es entsteht eine Reihe von Künstlerbüchern, Kleinformate, lyrische Blätter mit Farbstift,-bzw. Aquarell im Schutze des alles in den Schatten stellenden Geistes von EKIW. Ein Wunder, dass wir diesem Werk gerade jetzt begegneten! Die großen Formate und damit meine Anwesenheit und so geschätzte Arbeit im Atelier bleiben auf der Strecke. Langsam werde ich unruhig. Schafft es denn Corona tatsächlich meinen Schaffensdrang auf diese mächtige Weise zu beeinflussen?
Wenn ich am frühen Morgen beim Frühstück noch nicht genau weiß, was ich gleich tun werde, dann lauert da eine Art Freiheit, in der sich etwas herausstellen darf. Möchte ich künstlerisch tätig werden und wenn, was ist es, das heraus muss und nach Gestaltung ruft? Die Frage des Vaters am Frühstückstisch „Wie ist euer Plan für heute?“ sitzt mir bis heute im Nacken und ich stelle mir selbst ein Bein, indem ich dieses Muster hervor hole, um mich so zu entschuldigen und meine Schuld- und Hassmuster zu projizieren. Ich winde mich, diese dominante Frage nicht zu übernehmen, sie zu einer Aufforderung von mir an mich selbst zu installieren, und mich am Ende vor mir selbst zu fürchten. Oder ist es dieses Mal wirklich Corona?
Wenn du einen Beruf ausübst oder kleine Kinder zu versorgen hast, beantwortet sich diese Frage von selbst. Wenn du aber nicht in ein verpflichtendes Programm eingebunden bist, gibt es immer tausende von Dingen, die getan oder erledigt werden wollen, bzw. könnten. Gehst du nun so vor, nur jeweils das allernotwendigste zu erledigen, wird das Leben bald langweilig. Du wirst unzufrieden. Tust du hingegen nur, was dir Freude macht, gerinnt die Tageszeit zu einem Minimum, sodass du kaum noch rechtzeitig ins Bett kommst oder etwas Vernünftiges zu essen bereitest. Überhaupt, allein die Frage, was wichtig/ unwichtig oder nützlich/ überflüssig ist, kann mich am Morgen schon in einen Strom beliebiger Tätigkeiten sondergleichen treiben. Ich lande dann meistens zunächst im Räumen und Säubern von umher stehenden, liegenden Dingen, die mich aus diversen Gründen dazu auffordern. Die Zeit vergeht dabei im Flug und bald mache ich mir Vorwürfe, nichts Gescheites getan zu haben. Allerdings möchte ich mich dabei dann gleich wieder in Schutz nehmen, da ich meistens nichts tue, was nicht irgendwann einmal getan werden müsste. Die Frage ist nur immer dabei, ob es denn jetzt unbedingt hätte sein müssen.
Von all diesen Tätigkeiten ist möglicherweise das Blumen arrangieren in Kombination mit dem Garten noch das Wertvollste. Ich liebe die Welt der blühenden Pflanzen und lande häufig in einem Strom der Hingabe und des Dankes. Die bescheidene und zugleich prachtvolle Schönheit der Blumen berührt mich immer wieder tief und lässt mich still werden. Wie sie in der Vase stehen, sich in keiner Weise meinem Arrangieren widersetzen und in Dankbarkeit ihre absolute Schönheit einfach verschenken. Ohne Widerstreben geben sie sich ihrem todsicheren Ende in der Vase hin, um dann später von mir auf dem Kompost mit den anderen entsorgten Pflanzen wieder im Kreislauf der Natur zu vergehen. Wie ein wunderbares Kunstwerk nehmen mich die Blüten gefangen, dass ich beschämt den Raum verlasse, um sie nach dem Arrangieren ihrem Schicksal zu überlassen. Manchmal kann ich sie nicht einfach zurücklassen und muss noch schnell ein verzweifeltes Foto machen, weiß ich doch, dass sie in dieser einzigartigen, momentanen Frische nicht bleiben. Dieses Phänomen erinnert mich dann an die Frische eines gerade abgeschlossenen Ölbildes auf Leinwand, das in diesem feinen duftenden Glanz nicht verharren kann und ich immer wieder unter diesem Phänomen leide.
In diesem Augenblick mache ich gerade das, von dem ich ja sprechen wollte: ich lasse mich treiben und vergesse dabei ganz, was ich eigentlich wollte. Aber worüber wollte ich denn schreiben? Darüber, dass ich am Morgen ohne alltägliche Notwendigkeiten so sehr ungern danach gefragt werde, was ich heute denn vorhabe. Es geht mir dabei als Künstlerin um das Noch-Nicht, um eine sich noch nicht deutlich artikulierende Absicht in meinem Innern, die nicht irritiert werden will und Stille braucht, um sich zu finden, zu formen, um von mir wahrgenommen, gespürt, gehört zu werden und die dann evtl. nach Gestaltung ruft. Wenn diese Aufforderung nicht laut genug ist und sich nicht deutlich zeigt, bin ich leicht gereizt und ständig in Sorge, dass ich etwas überhöre, was mich zu einem künstlerischen Prozess anreizt oder gar auffordert, tätig zu werden. Ziehe ich mich dann grollend zurück, beginnt das ganze Phänomen sich gegen mich selbst zu richten. Dann entsinne ich mich an lange Schaffenskrisen von diversen Künstlern und auch daran, dass es Künstlern oft persönlich gar nicht, schon gar nicht immer, sogar eher selten „gut geht“…
Also will ich verharren, sozusagen in der bewegungslosen Stille einer Art geistigen Verpuppung. Gleichwohl hellwach. 2006 malte ich Ninfa, die Puppe, 90x 110cm, Tempera, Öl auf Leinwand, ein Bild, das diesen Zustand darstellte. Ich hole es hervor und stelle es mir ins Atelier.
Mir kommt die Spanne dieser konzentrierten Ruhe dieses Mal lang, sehr lang vor. Es fühlt sich nahezu wie ein Verstummen an. Wohin wird diese Irritation mich führen? Dass Corona unendlich viele Künstler schwer belastet, wird immer deutlicher. Bisher habe ich mich innerlich geweigert, dieses Phänomen auf mich anzuwenden. Es ist doch schließlich an mir, dieses Noch-Nicht oder Nicht-mehr o.ä. auszuhalten, damit sich etwas Amorphes ungestört etablieren und entwickeln darf. Was auch immer. Andere für diesen labilen Schwebezustand verantwortlich zu machen, gehört in die Rubrik Projektion… Aber sind nicht große Kunstwerke immer auch zeitbezogen? Zweifel werden wach. Meine Hinwendung zu EKIW ist die einzige Möglichkeit, um aus der inneren Reaktion auf diese abscheuliche auf Angst gegründete Haltung unserer Regierungen und unserer Mitmenschen heraus zu finden und dann vielleicht doch wieder ein großes Bild auf Leinwand zu erarbeiten.