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Fernsehen sehen

Fernsehen sehen

Von einem Abendspaziergang zurück gekehrt entdecke ich im Entrée des Hotels ein kleines Mädchen, wie es einen leicht glitzernden Fladen aus Knetmasse auf den Tisch vor der Gästecouch drückt. Die dicke rohe für uns kniehohe Holzplatte bietet eine ideale etwa bauchhohe Spielebene für die Ausbreitung seiner Miniaturspielzeuge. Es haut und klopft mit den Händchen auf die etwa Spiegelei-große violett-graue Masse, sodass ich stehen bleibe und den Fortgang der Szenerie leise abwarte. Das Mädchen kümmert es nicht, dass ich ihm zuschaue. Bald ist es einverstanden mit der Ebene und stellt auf dem Tisch einige kleine Play-mobil-Figuren nebeneinander auf. Es handelt sich sichtlich um Familienmitglieder, was ich vorsichtig erfrage und es mir bestätigt wird. Jetzt nimmt das Kind eine Play-mobil-Figur, legt diese mit dessen Rücken auf die Knetfläche und drückt sie fest. Ich bin erstaunt, als die Kleine nun eine weitere Figur der Reihe ebenfalls auf dessen Rücken neben die erste legt und diese auch schön fest drückt. Danach folgt dieselbe Prozedur mit den restlichen Figuren, was mich erheitert. Ich bin gespannt, da die Künstlerin sehr genau weiß, was da in ihrer magischen Welt vor sich geht. Es wirkt auf mich wie ein geheimer Plan, der unbedingt ausgeführt werden muss. Eine kurze Pause nimmt mir fast den Atem. Stille tritt ein, als das Kind in seinen Figuren nach etwas sucht. Da entdeckt es eine Art Schild, das gezielt aufrecht stehend in den Rand der Knetmassenfläche gedrückt wird, sodass alle Figuren liegend mit schrägem Blick nach oben auf dieses Schild blicken. Das Mädchen ist wohl zufrieden und ich riskiere meine Frage: “Was hast du da gemacht?“ „Sie sehen Fernsehen“ war seine prompte charmante Antwort und ich lächle amüsiert.

Zu diesem allerliebsten Geschehen fällt mir folgendes ein:
Das Mädchen ist die kleine Tochter des Hotelbesitzers. Mit seiner Frau und diesem Kind bezieht er, solange er sich im Hotel auf der Insel aufhält, ein kleines Gästezimmer im Parterre. Die Mahlzeiten und alle Beschäftigungen außerhalb dieses Zimmers finden im Gästebereich statt. Da ich mir gut vorstellen kann, dass die drei abends gern Fernsehen, sehe ich sie in Ermangelung an Fernsehmöbeln nebeneinander rücklings auf dem großen Bett liegend. Auf dem, wie in allen Hotelzimmern des Hauses, hoch an der Wand installierten Fernsehgerätes „sehen sie dann Fernsehen“, ganz wie die kleine Menschengruppe auf der Knetmasse. Die famose frühkindliche Assoziation erinnert mich an unsere körperliche Starrheit beim Fernsehen, an die stumme Nullbeschäftigung der Fernsehzuschauer in ihren Sesseln, an die blöde visuelle Fixierung auf den einschläfernden Schein der Realität.